Frauenleserin Rezension

“Der Triumph der Geraldine Gull” von Joan Clark

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“Der Triumph der Geraldine Gull” führt eine junge Malerin in den hohen Norden Kanadas an die Grenze zum ewigen Eis und gewährt spannende Einblicke in das Leben in einem indianischen Fischerdorf, die durch ihre erfrischend unromantische Darstellung überzeugen.

Die Autorin Joan Clark wurde 1934 in Liverpool geboren und studierte Theaterwissenschaften. Sie arbeitete als Lehrerin und heiratete eine Ingenieur, den sie auf seinen Einsätzen in ganz Kanada begleitete. In ihren Romanen verarbeitete sie ihre Erfahrungen jener Jahre. Heute lebt Joan Clark in Neufundland. 2010 wurde sie mit dem Order of Canada ausgezeichnet.

Worum geht es?

Niska/Kanada, Juli 1978. Willa Coyle zieht für den Sommer in das indianische Fischerdörfchen Niska im hohen Norden Kanadas. An der Grenze zum ewigen Eis soll sie den Kindern des Dorfs Zeichenunterricht geben. Dabei wird sie schon schnell mit den Problemen des Dorfs und dem harten Leben der Indianer an diesem unwirtlichen Ort konfrontiert. Und dann ist da auch noch die anarchische Geraldine Gull, die Willa bei ihrer Ankunft in Niska zuerst eine Backpfeife verpasst und Willas Brille zerbricht, nur um sie schließlich später um einen großen Gefallen zu bitten. Was hat Geraldine wirklich vor? Und wie soll Willa darauf reagieren?

Wie fand ich…

…den Einstieg?

Joan Clark stellt ihre Hauptprotagonistin bereits im Prolog vor. Dieser spielt 1947 und zeigt Geraldine Gull als junges Mädchen allein in der Wildnis, wo sie nach dem frühen Tod ihrer Eltern in selbstgewählter Isolation lebt, um nicht ins Internat der Weißen zu müssen. Auf große Erläuterungen und lange Einführungen wird dabei verzichtet. Joan Clark wirft den Leser / die Leserin vielmehr mitten hinein die beschriebene Situation. So fiel mir die Orientierung zu Beginn auch etwas schwer. Dennoch bekam ich schon hier einen guten ersten Eindruck von Geraldines außergewöhnlichem Charakter und ihrer anarchischen Lebensart.

Sprachlich fielen mir gleich zu Beginn die ungewöhnlichen Landschaftsbeschreibungen auf. Mit ihrer für Naturbeschreibungen ausgefallenen Wortwahl drückt Joan Clark durch ihre Wortwahl die Rauheit und Kargheit der Landschaft aber auch des Lebens der Menschen, die hier wohnen, aus.

„Schnitze mit der Spitze deines scharfen Messers eine kleine Kerbe neben dem Fluss, dort, wo er in die Bay mündet. In dieser Kerbe, diesem Kratzer, manche würden es auch eine Narbe nennen, lebt eine Handvoll Swampy Cree: die Familien Crow, Bird, Gull, Eagle und Hunter.“
(Seite 13)

…den Handlungsverlauf?

Der Handlungsverlauf verwirrt mich etwas. Durch die Inhomogenität der beiden Hauptthemen, die nur lose miteinander verbunden sind, war mir leider bis zum Schluss nicht ganz klar, worauf Joan Clark eigentlich hinaus wollte. Auch dass der Klappentext etwas in die Irre führt, war dabei nicht hilfreich. Geraldines „Schatz“, von dem dort die Rede ist, wird bereits relativ früh erklärt, und auch auf ihr restliches Geheimnis konnte ich mir zeitig zusammenreimen. Tatsächlich ist dieser Teil der Handlung auch etwa nach der Hälfte des Buchs nahezu vollständig auserzählt.

An diesem Punkt eröffnet Joan Clark einen zweiten Strang, der weg von Geraldine Gull führt und die Situation des gesamten Dorfs, das mehr oder weniger permanent latent von einer potenziellen Naturkatastrophe bedroht wird, in den Mittelpunkt des zweiten Teils des Buches stellt.

Obwohl Willa als verbindendes Element fungiert, wirkten beide Stränge auf mich eher isoliert und sorgten so insgesamt für eine gewisse Inkonsistenz.

…die Charaktere?

Vor allem den beiden Frauenfiguren kommt man in „Der Triumph der Geraldine Gull“ sehr nah: Willa durch ihre Briefe an ihre Schwester, Geraldine durch Flashbacks.
Letztere überraschte mich am meisten. Zwar ist sie eigentlich keine echte Sympathieträgerin. Im Laufe der Lektüre erfährt man jedoch mehr über ihr sehr bewegtes und bisweilen sehr hartes Leben und entwickelt so zumindest etwas mehr Verständnis für sie. Auch hatte ich am ein oder anderen Streich, den Gealdine den Dorfbewohnern – allen voran Pater Aulneau – spielt und so Unruhe in die Dorfgemeinschaft bringt, meine diebische Freude.

Ebenfalls detailreich beschrieben sind auch die einzigen beiden anderen Weißen Pater Aulneau und der Besitzer des einzigen Ladens von Niska, die jedoch beide im Grunde nicht viel für die Dorfbewohner übrig haben. Auch die Indianer Gerald Gull und Patrick Eagle werden gut ausdifferenziert beschrieben. An Hand dieser Figuren erfährt man frei von jeder Indianerromantik, in welcher schwierigen und perspektivlosen Situation sich die Ureinwohner Nordamerikas befinden und wie angespannt ihr Verhältnis zu den weißen Kanadiern ist. Die Einkommensmöglichkeiten sind sehr begrenzt, die eingeflogenen Lebensmittel in dieser unwirtlichen Gegend sehr teuer. Die meisten sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Alkohol ist für viele der einzige Weg aus der Langeweile. Diese authentische, ungeschönte Schilderung des Lebens der kanadischen Indianer ist ohne Frage einer der Stärken von „Der Triumph der Geraldine Gull“ und Joan Clark, die sich auch vor einer kritischeren Darstellung nicht scheut, um ihren LeserInnen ein möglichst vollständiges Bild zu vermitteln.

…die Sprache?

Auch die in “Der Triumph der Geraldine Full” verwendete Sprache trägt zu diesem authentischen Eindruck bei. Joan Clark benutzt immer wieder indianische Ausdrücke, die in einem Anhang am Ende des Buchs erläutert werden. Schön fand ich zudem, dass man einige indianische Mythen und Legenden kennenlernte. In ihnen kam die besondere Naturverbundenheit der indianischen Bevölkerung gut zum Ausdruck, ohne dass diese explizit erwähnt wurde.

…den Schluss?

Am Schluss führt Joan Clark alle begonnenen Themen zu Ende. Der Epilog gibt zu dem einen guten Ausblick darauf, was mi den im Laufe des Buchs erwähnten Personen weiter geschieht. Für mich blieben so letztlich keine Fragen offen.

Inhaltlich war ich mit dem Ende jedoch nicht so ganz einverstanden. Einerseits gab es mir etwas zu viel Happy End. Andererseits war es ein „rassenreines“ Happy End, bei dem die Weißen und die Indianer letztlich doch unter sich blieben, was mich ein wenig enttäuschte. Mich hätte es gefreut, wenn aus der Begegnung von Willa mit den Bewohnern Niskas etwas mehr „Völkerverständigung“ entstanden wäre. Die in „Der Triumph der Geraldine Gull“ in dieser Frage entworfene Ausblick war mir zu ernüchternd.

Wie hoch ist der „starke Frauen“-Faktor?

In „Der Triumph der Geraldine Gull“ entwirft Joan Clark gleich zwei starke Frauenfiguren. Besonders gut gefiel mir hierbei, dass sich deren Stärke auf sehr unterschiedliche Weise ausdrückt:

Auf der einen Seite ist Geraldine Gull – Indianerin, ungebildet, lebensklug und Alkoholikerin. Ihre harte Vergangenheit hat sie zu einer unangepassten und anarchischen Einstellung gebracht und gleichzeitig stark und unabhängig gemacht, um überleben zu können. Auf ihr Umfeld ist sie die ewige Querulantin, welche die Ruhe des Dorfes stört. Geraldine macht sich die Regeln der Männer zu eigen, trägt ein Messer und besitzt ein sehr dominantes Auftreten, das andere gerade bei ihr als Frau sehr einschüchtert.

Auf der anderen Seite erleben wir Willa Coyle – Weiße, Akademikerin, unerfahren und selbstbeherrscht. Mit ihrer Entscheidung, als junge Weiße alleine in die Wildnis Kanadas zu ziehen, beweist sie jedoch einen gewissen Mut. In Niska entpuppt sie sich schließlich als durchaus taffe und moderne junge Frau, die sich über die leicht antiquierten Moralvorstellungen des Paters amüsiert. Dennoch übt sie sich meist in Zurückhaltung, domestiziert einen Straßenhund und lebt eher passiv. Im Gegensatz zur sehr offensiven und sprunghaften Geraldine verkörpert sie eher die weiblichen Stärken. So näht sich zum Beispiel kurz nach ihrer Ankunft im Dorf Vorhänge für ihre Hütte, um sich so vor den neugierigen Blicken der Bewohner zu schützen.

Joan Clark arbeitet schön die Unterschiede beider Stärke-Modelle heraus. Diesen Aspekt des Buchs fand ich sehr gelungen und interessant.

Wie gefiel mir das Buch insgesamt?

Joan Clark legt mit „Der Triumph der Geraldine Gull“ ein Buch vor, das einen erfrischend authentischen und angenehm ungeschönten Blick auf das Leben der kanadischen Indianer in den „modernen Zeiten“ der 70er Jahre wirft. Auch wenn mich weder der Handlungsverlauf selbst noch das Ende vollkommen überzeugen konnten, war diese unromantisierte Perspektive auf ein indianisches Fischerdorf spannend und interessant. Besonders die kritischen Untertöne des Buchs gefielen mir gut. So wird hierin auch beschrieben, wie der weiße Mensch die kanadischen Urbewohner nach und nach mehr von ihrem ursprünglichen und autarken Leben abbrachte und ihnen zunehmend ihre natürliche Lebensgrundlage raubte. In „Der Triumph der Geraldine Gull“ erleben wir die Bewohner Niska als stark von staatlichen Sozialleistungen abhängig und in einer gewissen Lethargie gefangen. Ihre Perspektivlosigkeit ertränken sie in billigem Alkohol oder betäuben sie durch das Schnüffeln von Benzin und anderer giftiger Dämpfe. In der kanadischen Bevölkerung, die ihr schlechtes Gewissen mit Almosen bekämpft, sind sie an den Rand gedrängt. Dennoch haben sie sich einen Teil ihrer Traditionen und Gebräuche bewahrt Auch diesen Spagat zeigt „Der Triumph der Geraldine Gull“ schön auf.

Neben diesen gesellschaftskritischen Themen konnte mich auch die Zeichnung der weiblichen Charaktere überzeugen. Mit Geraldine und Willa entwirft Joan Clark zwei höchst unterschiedliche Frauenbilder, die beide auf sehr verschiedene Weise Stärke beweisen.

Bewertung: ♥♥♥ lesenswert

Titel: Der Triumph de Geraldine Gull ♦ Autorin: Joan Clark ♦ Übersetzung: Gerda Bean ♦ Verlag: Unionsverlag ♦ Format: Taschenbuch ♦ Umfang: 332 Seiten ♦ ISBN: 978-3-293-20739-4 ♦ Preis: 12,95€

 

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